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Raum für Klage und offene Fragen
Ökumenisches Gedenken an Corona-Opfer

22.11.2021

Trauer, Wut, Erschöpfung und die offene Frage nach dem Warum: In einem Klagegottesdienst haben evangelische und katholische Christinnen und Christen am Freitagabend in der evangelischen Kirche in Hilchenbach der Opfer der Corona-Pandemie gedacht. Der ökumenische Gottesdienst, zu dem die beiden Evangelischen Kirchenkreise Siegen und Wittgenstein mit dem katholischen Dekanat Siegen eingeladen hatten, solle einen Raum der Klage für die Opfer der Pandemie bieten, sagte Pfarrerin Ursula Groß aus der Evangelischen Kirchengemeinde Gleidorf. „Aber auch einen Raum für uns alle, die wir von der Pandemie betroffen waren und sind.“ In Bibeltexten und Psalmen, Musik und auch in Form eines kleinen Kieselsteins konnten Besucherinnen und Besucher ihre Gefühle vor Gott bringen.

„Wer sieht unser Leid, unser Elend und unsere Hilflosigkeit in der Corona-Pandemie?“, fragte die katholische Gemeindereferentin Irmtrud von Plettenberg in einem mit Trommeln begleiteten Gebet. „Wer hört unsere Schreie der Überforderung?“ Die Wittgensteiner Superintendentin Simone Conrad trug Auszüge aus dem „Ahr-Psalm“ vor, den der Trierer Priester Stephan Wahl nach der Hochwasserkatastrophe im Sommer geschrieben hat, der aber auch auf die Corona-Pandemie passt: „Ist dir das alles völlig egal, Unbegreiflicher?“, heißt es da. „Du bist doch allmächtig, dein Fingerschnippen hätte genügt.“ Konkret wurden die tödlichen Auswirkungen der Pandemie in zwei Interviews, die der Hilchenbacher Pfarrer Herbert Scheckel führte. Krankenschwester Tanja Pilz berichtete von ihrem Arbeitsalltag auf der Isolierstation des Kreisklinikums in Siegen-Weidenau unter strapaziösen Hygienemaßnahmen. „Man möchte keine Fehler machen, um sich selbst zu schützen, andere Patienten und auch die Angehörigen zuhause“, sagte sie. Zu Wort kamen auch Christof Oerter, dessen Bruder und Schwester 2020 kurz nacheinander an Covid-19 starben, und seine Ehefrau Gaby. „Wir haben damals nicht mehr geschlafen“ berichtete Gaby Oerter. Getragen habe sie ihr Netzwerk von Familie und Freunden. „Und die Kirche war für uns da, wir sind beide gläubig.“ Trotzdem hätten sie Gott auch gefragt: „Warum tust du uns das an?“

 

Der Siegener Superintendent Peter-Thomas Stuberg predigte im Corona-Klagegottesdienst.

 

Antworten darauf konnte und wollte der Siegener Superintendent Peter-Thomas Stuberg in seiner Predigt nicht liefern. Die Pandemie lehre ihn vielmehr, auf zu schlichte Erklärungen über Gottes Plan, sein Wesen und seinen Willen zu verzichten. „Wir bleiben ohne Erklärungen und ohne Lösungen in allem Fragen nach dem Warum“, sagte der leitende Pfarrer des Kirchenkreises. Statt dem Reden über Gott könne vielleicht das Reden mit Gott aus der Krise helfen. Wie die Autoren biblischer Klagepsalmen dürfe man das Untragbare vor Gott ablegen – „meine Traurigkeit, meine Wut, meine Erschöpfung, aber auch meine unbändige Lust zum Leben“, sagte Stuberg. „Indem ich‘s vor Gott ausspreche ist es, als nähme ich Platz am gedeckten Tisch bei Vater und Mutter; erschöpft und durchnässt vom langen Wandern, zermürbt von allen Anstrengungen, verletzt an Leib und Seele.“ In der Klage komme uns Gott in Jesus Christus nah. Sein Symbol, das Kreuz, sei das tiefste Erniedrigungszeichen und weise zugleich auf die Auferstehung hin. „Er erlöst uns, nicht immer vom Leid“, sagte Stuberg. „Aber immer vom Tod.“

 

Der Klagegottesdienst wurde musikalisch eindrücklich begleitet vom Chor „Carpe Sonum“ unter Leitung von Jens Schreiber.

 

Untragbares ablegen – das konnten Besucher des Gottesdienstes auch ganz praktisch ausprobieren. Am Anfang des Gottesdienstes, der musikalisch eindrucksvoll vom Chor „Carpe Sonum“ und Helga Maria Lange an der Orgel gestaltet wurde, erhielten sie kleine Kieselsteine. In einer Meditation lud Thea Rabenau, Koordinatorin des Ambulanten Evangelischen Hospizdienstes Siegerland, dann dazu ein, die Kieselsteine zu Sinnbildern für Lasten und Leiden in der Pandemie werden zu lassen – und sie nach dem Gottesdienst unter zwei aufgestellten Kreuzen abzulegen.

 

Hospiz-Koordinatorin Thea Rabenau (vorne links) untermalte das Gebet von Gemeindereferentin Irmtrud von Plettenberg (rechts) mit Trommeln.

 

Lesen Sie hier die komplette Predigt von Superintendent Peter-Thomas Stuberg nach.

 

Bild oben: 

Pfarrer Herbert Scheckel interviewte Gaby und Christof Oerter und Krankenschwester Tanja Pilz (v.l.)

 

Text und Fotos: Jasmin Maxwell-Klein

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