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Der Blog der Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Siegen

Durch das Band des Friedens. Ansprache zum Weltgebetstag der Frauen 2024 aus Palästina

4.3.2024

© @leopictures/Pixabay

von Heike Dreisbach

 

vom 1. März 2024 in der Ev. Ref. Kirchengemeinde Oberfischbach

 

Wir hören aus dem Epheserbrief, aus dem 4. Kapitel die Verse 1 bis 7 nach der Übersetzung der BasisBibel.

 

1 Ich bitte euch als jemand, der in Haft ist, weil er zum Herrn gehört: Führt euer Leben so, dass es dem entspricht, wozu Gott euch berufen hat:

2 voller Demut, Freundlichkeit und Geduld. Ertragt euch gegenseitig in Liebe. 3 Bemüht euch darum, die Einheit zu bewahren, die sein Geist euch geschenkt hat. Der Frieden ist das Band, das euch alle zusammenhält.

4 Ihr seid ein Leib und ein Geist lebt in euch. So ist es ja auch eine Hoffnung, zu der Gott euch berufen hat.

5 Es gibt nur den einen Herrn, den einen Glauben und die eine Taufe.

6 Und ebenso gibt es nur den einen Gott, den Vater von uns allen. Er regiert über alle, wirkt durch alle und erfüllt alle.

7 Jeder Einzelne von uns hat die Gnade in dem Maß erhalten, wie Christus sie ihm schenkt.

 

„Führt Euer Leben so, dass es dem entspricht, wozu Gott Euch berufen hat…. 

Voller Demut, Freundlichkeit und Geduld. Ertragt euch gegenseitig in Liebe."

 

Was für ein hoher Anspruch! Freundlich sein, das fällt mir von meinem Naturell her meist nicht allzu schwer. Aber bei weitem nicht immer. Aber geduldig, gar demütig sein? Ich weiß nicht… Will ich das überhaupt? 

 

Wie mögen diese Verse aus dem Epheserbrief in den Ohren unserer palästinensischen Schwestern klingen und geklungen haben, schon vor dem Krieg?

 

Das mit dem Geduldigsein zum Beispiel - am Checkpoint an der Grenze, jeden Morgen und jeden Abend auf dem Weg zur Arbeit und wieder zurück.  

Demütig macht mich der Bericht von Eleonor, den wir vorhin gehört haben, wenn sie sagt: „Ich hätte das Land meiner Wurzeln verlassen können, aber ich habe mich dafür entschieden, zu bleiben und nach dem Gebot Jesu zu leben: andere zu lieben, wie Gott mich liebt.“ 

 

Wie es Eleonor wohl jetzt geht? Und den anderen Frauen, deren Geschichte wir später noch hören werden? 

 

Wie geht es ihnen jetzt, das heißt 147 Tage nachdem der Krieg in Gaza begonnen hat? 

 

„Singt vom Leben, nicht vom Tod“, haben wir vorhin gesungen/gehört. Das klingt hoffnungsvoll, regelrecht österlich. Aber ich fürchte, wir dürfen uns das heute Abend nicht ersparen, auch von den Toten zu reden. 

 

Von den nahezu 27.500 Menschen in Gaza, die im Laufe dieses Krieges getötet worden sein sollen.  

Von den mehr als 67.000 Verletzten [1]. 

Und davon, dass von den 2.2 Millionen Einwohnern in Gaza mittlerweile 1,7 Millionen in Notunterkünften ausharren [2].

 

Mitten unter die Schutzsuchenden, auch das gehört zur Wahrheit dazu, befinden sich auch Terroristen der Hamas, zivil gekleidet, ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauchend. 

 

2006 ist die Hamas in Gaza durch Wahlen an die Macht gekommen. Seitdem ist sie für die öffentlichen Verwaltung in Gaza verantwortlich. Anstatt die in all den Jahren reichlich geflossenen internationalen Hilfsgelder zum Wohl der Bevölkerung einzusetzen, hat die Hamas mehr oder weniger verdeckt massiv in Aufrüstung investiert mit einem weitverzweigten unterirdischen Tunnelsystem. Der Staat Israel soll ausgelöscht werden. Das ist das erklärte Ziel. Maßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung hat die Hamas bei alledem nicht getroffen. Im Gegenteil. Sie brachten ihre Raketenbasen und Kommandozentralen ausgerechnet in oder unter Kindergärten, Moscheen und Krankenhäusern unter. Offensichtlich kommen Ihnen die Bilder von toten Kindern propagandamäßig sogar sehr gelegen. Welch ein Zynismus! 

 

„Singt vom Leben, nicht vom Tod“, dieses Lied, ebenso wie die Grundzüge der Liturgie, die wir miteinander feiern, entstand bevor der Krieg begann. 

Der, das scheint mir inzwischen manchmal ein wenig aus dem Blick zu geraten, ausgelöst wurde durch den fürchterlichen Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober. 1.139 Menschen in Israel wurden innerhalb weniger Stunden ermordet, mehr als 5.400 wurden verletzt. Jüdische und arabische Israelis, sowie Menschen anderer Nationalitäten. Ganze Kibbuzim, ganze Dörfer wurden in Brand gesteckt. Mehr als 240 Menschen wurden von der Hamas als Geiseln nach Gaza verschleppt. Darunter viele alte Menschen, Kinder, sogar ein Baby. Inzwischen konnten einige von ihnen freikommen. Mehr als 130 Geiseln befinden sich allerdings nach wie vor in der Gewalt der Hamas oder sie leben bereits nicht mehr [3]. 

 

Erschütternd sind auch die Berichte über die schweren und systematischen sexuellen Gewaltverbrechen der Hamas [4]. Bekannt geworden sind all diese Gräueltaten nicht zuletzt deshalb, weil die Terroristen ihr sadistisches Vorgehen selbst mit ihren Handys gefilmt und mehr oder weniger live im Internet gestreamt haben. Bilder, die gefeiert wurden als Akt der Befreiung, auch hier in Deutschland. 

 

Ebenfalls leicht vergessen wird inzwischen, dass die Menschen in Israel monatelang, von Raketen aus Gaza beschossen wurden. Inzwischen scheint diese Gefahr, zumindest vorerst, weitestgehend abgewendet zu sein. 

Rut (Name verändert), meine israelische Freundin, ist sehr erleichtert darüber. Und zugleich tut sie, was sie kann, um gegen die ihr so verhasste Politik Netanyahus und seiner nationalreligiös-radikalen Regierung mit ihrer wahnsinnigen Siedlungspolitik zu protestieren. Am vergangenen Sonntag schickte Rut mir Fotos von ihrer Nichte, Mutter von 2 kleinen Mädchen und von ihrem Neffen, Vater von drei kleinen Kindern, das jüngste vier Monate alt, beide sind als Offiziere im Kriegseinsatz. Die Familie bangt täglich um sie. 

 

Ich habe mich, glaube ich, angesichts eines Krieges noch nie so zerrissen gefühlt, wie jetzt.

 

Ich merke, dass es mir unmöglich ist und dass ich das auch gar nicht will: mich ausschließlich einlassen auf die Perspektive unserer palästinensischen Schwestern.

 

Und doch, gerade eine wie ich, die keine persönliche Beziehungen nach Gaza oder ins Westjordanland hat, sehr wohl aber nach Israel, gerade eine wie ich, tut gut daran, sich intensiv auseinander zu setzen mit dem, was Palästinenserinnen und Palästinenser gerade erleiden und was sie in der Vergangenheit erlitten haben. 

 

Es ist wichtig, mir bewusst zu machen, dass ich durch Jesus nicht allein mit dem jüdischen Volk verbunden bin, sondern auch mit den palästinensischen Christinnen und Christen in Gaza, im Westjordanland und überall da, wo sie in der Diaspora leben.

 

Dass ich berufen bin, für sie zu beten, mich für sie und ihre Lage und ihre Erfahrungen zu interessieren. Auch wenn ich ihre politischen Ansichten und ihre historischen Analysen so nicht teile, die selbst in dieser überarbeiteten Liturgie noch durchschimmern. 

 

„Ertragt euch gegenseitig in Liebe“. 

 

Echte Empathie, wahre Nächstenliebe ist nicht teilbar.

Und der Leib Christi, zu dem alle gehören, die an ihn glauben, erst recht nicht. 

So wie wir es vorhin aus dem Epheserbrief gehört haben: 

 

„Ihr seid ja ein Leib und ein Geist lebt in euch. So ist es ja auch eine Hoffnung, zu der Gott Euch berufen hat. Es gibt nur den einen Herrn, den einen Glauben und die eine Taufe und es ist nur ein Gott, der Vater von uns allen.“

 

Dies zu glauben, darauf zu vertrauen, erspart uns allerdings nicht, die Zerrissenheit auszuhalten, die wir gegenwärtig erleben. 

 

Denn der eine Gott, der Vater Jesu Christi, der Vater von uns allen, ist der Gott Israels. Der sein Volk nicht verstoßen hat, wie es die christliche Theologie jahrhundertelang gelehrt hat und wie sie es zum Teil offen oder versteckt immer noch tut.

 

Als Christinnen und Christen stehen wir alle in der grauenhaften Geschichte des christlichen Antisemitismus. Der bei uns in Deutschland den Boden bereitet hat für die Shoah, die industriell betriebene millionenfache Vernichtung jüdischer Menschen. 

 

Diese Schuldgeschichte samt ihren Folgen steht auch im Raum, wenn wir heute Abend für unsere Schwestern in Palästina beten. 

 

Die Verantwortung, die wir durch unsere Geschichte tragen, verpflichtet uns dazu, es uns nicht zu leicht zu machen und uns populistisch-vereinfachend auf eine Seite zu schlagen. Auch nicht auf die der israelischen Regierung. 

Denn auch das gibt es in der christlichen Szene, gerade im evangelikalen Kontext: Eine vollkommen unkritische Israel-Begeisterung, die nicht einmal davor zurückschreckt, die blutige Siedlungs- und Besatzungspolitik der nationalreligiösen Fundamentalisten in Israel gutzuheißen. 

 

 

„Der Friede ist das Band, das Euch alle zusammenhält“: 

 

Eines der großen und wundervollen Bilder der Bibel für den Frieden, für Salam und Shalom ist das Bild vom großen Festmahl am Ende der Zeit, das Gott auf dem Berg Zion bereiten wird für alle Völker. Der Friede, der mit diesem Mahl gefeiert wird, wird kein erzwungener Sieg-Friede sein. 

 

Die Völker, so ist es verheißen beim Propheten Micha (Micha 4, 1-8) werden freiwillig kommen. Bereit, sich dem zurechtbringenden, endliche Gerechtigkeit herstellenden Gericht Gottes zu beugen. Weil es ohne Gerechtigkeit keinen Frieden geben kann. 

 

Die Völker werden kommen, so beschreibt es Micha, und nachdem Ihnen Gerechtigkeit widerfahren, nachdem sie das göttliche Urteil über ihren je eigenen Anteil an Streit und Blutvergießen angenommen haben - danach werden sie bereit sein, ihre Waffen niederzulegen. Sie abzugeben, damit diese tödlichen Werkzeuge umgeschmiedet werden können zu Pflugscharen und Winzermessern. 

 

Die Völker, also auch das palästinenische Volk, das ukrainische, das russische, alle Völker, auch wir Deutsche, werden kommen. So ist es verheißen.

Die Völker werden sich nicht nur entwaffnen lassen, sondern auch bereit sein zu verlernen und zu vergessen, wie man Krieg führt.

 

Dann werden sich endlich Gerechtigkeit und Friede küssen[5]. 

 

Gemeinsam mit Gottes Volk, den Juden, werden die Menschen aller Völker den Weisungen Gottes lauschen und sie sich zu eigen machen. Die Menschen aller Völker, wir alle, werden gemeinsam lernen, wie das geht, so miteinander zu leben, dass alle unter ihrem Feigenbaum und unter ihrem Weinstock (und ihrem Olivenbaum) sitzen können, in Sicherheit und im Frieden. Denn genau das meint Shalom, meint Salam: Sicherheit, Wohlergehen, Wohlbefinden, heil sein und ganz sein für alle. 

 

„Der Friede ist das Band, das Euch alle zusammenhält“: 

 

Noch sieht es so aus, als wäre dieser Friede, dieser Salam, Shalom ein schöner, aber leider realitätsferner Traum.

 

Aber vielleicht ist das schon der erste Schritt zum Frieden: Ihn zu erträumen, ihn keinesfalls verloren zu geben, nicht als Hoffnung für die Ewigkeit, aber durchaus auch nicht als Hoffnung für jetzt und hier. Ganz besonders nicht für die Regionen unserer Erde, wo die Konflikte derart verzweifelt unlösbar scheinen, wie im Heiligen Land. 

 

„Der Friede ist das Band, das Euch alle zusammenhält“: 

 

Im Vertrauen auf diese Zusage wollen wir nun weiter auf die Stimme unserer Schwestern aus Palästina hören und für sie und für uns  alle beten, die wir den Frieden so dringend herbeisehnen. 

 

AMEN. 

 


 
[1] https://www.deutschlandfunk.de/gaza-meldet-27-500-todesopfer-100.html abgerufen am 28.02.24, 10:33 Uhr
[2] https://www.rnd.de/politik/nahost-liveticker-aktuelle-news-zum-israel-hamas-krieg-mittwoch-28-02-2024-TENB5YC2Y5C45LMULAZY62C2DA.html, abgerufen am 28.02.24, 10:27 Uhr.
[3] Die Angaben folgen dem Wikipedia-Eintrag zum Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2014. Sie entsprechenden den Veröffentlichungen, die auch auf deutschen Nachrichtenseiten, wie tagesschau.de, zeit.online oder dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) veröffentlicht werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Terrorangriff_der_Hamas_auf_Israel_2023, abgerufen am 28.02.24, 9:06 Uhr.
[4] https://www.zeit.de/news/2024-02/21/bericht-ueber-systematische-sexuelle-gewalt-der-hamas, abgerufen am 28.02.24 um 09:10 Uhr.
[5] Psalm 85, 11

 

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